Altai Schwede

Etwas übermüdet von der kasachischen Ebene, die wir drei Tage lang durchkreuzt haben, haben wir ganz schön Augen gemacht, als wir gesehen haben, was die Region Altai in Russland zu bieten hat.

 

Die Grenze nach Russland haben wir in gewohnter und bewährter Manier am Abend genommen. Das spart uns unter Tags dann Zeit und außerdem ist abends bzw. nachts auf den Grenzen viel weniger los und man ist einen Tick schneller durch.

Die Stadt gleich hinter dem Übergang, Rubzowsk, hat dann auch noch zu später Stunde ein Hotelzimmer für uns parat gehabt und wir sind um halb drei Uhr morgens todmüde eingeschlafen.

Wieder mal haben wir am Morgen den Wecker überhört und zudem auch noch übersehen, dass wir mit der Staatsgrenze nicht nur eine politische, sondern auch wieder mal eine Zeitzonengrenze überquert haben. Das Ergebnis war, dass wir um 13 h weggekommen sind, anstatt um 10.30 h wie geplant. Aber Pläne sind auf unserer Fahrt ohnehin relativ selten aufgegangen. Üblicherweise werden sie gemacht, um dann gleich wieder verworfen zu werden. Man hantelt sich sozusagen von einem Plan zum nächsten, um überhaupt vorwärts zu kommen. Die ganze Rally ist also ein einziger Schlagabtausch der Pläne und nur das garantiert eine gewisse Stetigkeit und hält das notwendige Momentum aufrecht.

 

Wie dem auch sei, was sich uns in Russland bei Tageslicht geboten hat, erstaunte uns: in Rubzowsk haben wir eine nahezu europäische Stadt vorgefunden. Man quert durch nahezu alle Stanrepubliken dieser Erde, ist tausende Kilometer Luftlinie von Europa entfernt, betritt Russland ziemlich genau mittig im Süden und fühlt sich, alsob man gerade über die slowakische Ostgrenze gefahren ist. Kurz gesagt, es fühlt sich plötzlich alles europäisch an und sieht so aus. Das hat uns fasziniert und sollte der europäischen Politik zu denken geben.

Querfeldein durchs Altai Gebirge

Hinter Aleysky ist uns was großartiges passiert: wir haben uns verfahren! Besser gesagt, wir haben eine Abzweigung versäumt und sind erst 30 km später drauf gekommen. Weil wir nicht mehr retour fahren wollten, haben wir uns dann einfach entschieden quer durchs Altai Gebirge zu fahren. Und obwohl das mehr als 200 km Dirtroads für uns bedeutete, haben wir jeden Millimeter davon genossen. Was für eine schöne Gegend!!

Nicht nur, dass die Dirtroads im Altai in einem besseren Zustand sind als die asphaltierten Hauptstraßen in Tajikistan, sie führen auch durch eine grüne Berg- und Talwelt, Sumpflandschaften und anachronistische kleine Dörfer mit schiefen Holzhäuschen. Das Verfahren haben wir wirklich alles andere als bereut. Dorthin wären wir sonst nie gekommen.

 

Lediglich zwei Schockmomente mussten wir inmitten dieser Idylle hinter uns bringen, die es aber beide in sich hatten. Kaum haben wir begonnen auf den auf den Altai-Nebenstraßen unseren Kurs anzupeilen, mussten wir auch schon das erste Mal scharf bremsen und ausweichen. Der Grund: ein Betrunkener ist in seiner Camouflagebekleidung (!!) hinter einer Kuppe (!!) auf der Straße gelegen (!!) und hat tief und fest geschlafen (!!). Um ein Haar hätten wir ihn erwischt!! Nicht mal ein extensives Hupkonzert hat ihn aufgeweckt und erst als wir neben seinem Ohr geklatscht haben, ist er endlich aufgewacht und hat begonnen durch die Gegend zu torkeln, irgendwas zu stammen und sich umzusehen, wo er den überhaupt ist.

 

Etwas später dann die zweite Notwendigkeit zur Vollbremsung: mitten auf der Straße lag nämlich ein riesiger spitzer Stein, in den wir natürlich reingekracht und über ihn drübergeschrammt sind, bis wir ihn letztendlich hinten wieder ausgespuckt haben. Wie durch ein Wunder ist nichts passiert und es hat nur unserem bereits verbogenen Unterbodenschutz vollends deformiert. Weiter hinten am Auto hat er um wenige Zentimeter die Bremsleitungen verpasst und uns stattliche Cuts in den Unterboden gemacht. Als der Stein hinterm Auto zum liegen kam, hatte er Lack und Seilfettspuren, die wohl noch länger von seiner Begegnung mit Cookie zeugen werden.

 

Beide diese Episoden bestätigen die goldenste unserer Rallyregeln, nämlich, dass man der Straße nie vertrauen soll. Niemals. Nie und nimmer. Wenn man sich zu sicher fühlt und das Auge nur für eine Sekunde von ihr nimmt, weil man denkt, dass eh alles in Ordnung ist, dann riskiert man eine Tragödie. Und wie wir an diesem Tag wieder gleich zweimal hintereinander gesehen haben, bewahrheitet sich dieser Grundsatz leider nur allzu oft.

Nach einer Nacht in einem netten Holzhäuschen in Topolnoye dürften wir dann am nächsten Tag noch lange durch die geniale Landschaft des Altai Gebirges fahren. Das Gebirge ist für die Schönheit seiner Landschaft und seine Flora (Berghänge mit Zedern, Kiefern, Lärchen, Fichten und Birken sowie Hochgebirgsweiden und -steppen) bekannt und ein Anziehungspunkt für Bergsteiger und Exkursionen. Und es ist einfach so dermaßen grün nach ein paar Wochen im kargen Zentralasien! Es lässt sich also mit Fug und Recht behaupten, dass neben der politischen und der Zeitzonengrenze auch eine geomorphologische und eine Vegetationsgrenze existiert. War grüne Flora in Nord-Kasachstan eher selten zu erspähen am brettlebenen Horizont, wächst und gedeiht hier alles auf den Berghängen.

Durch das Gebiet, das wir durchfahren haben, fließt zum Teil der Fluss Katun, der den grünen Hängen zudem einen dezenten mitteleuropäischen Touch gibt. Flo hat es so ausgedrückt: Wenn man eine chinesische Firma damit beauftragen würde Österreichs Naturlandschaften nachzubauen, dann würde das Altai Gebirge mit dem Katun dabei herauskommen.

Wir zwei Kosch-Agatscher Tourismusbeauftragten

Interessant war's dann auch aus dem Gebirge wieder langsam rauszufahren und in die Tschuja-Steppe zu kommen, an deren Anfang das ausgedehnte Gebirgsdorf Kosch-Agatsch liegt. Das Gebiet um den Ort gehört zu den trockensten und im Winter kältesten im Altai. Die gemessene absolute Minimaltemperatur betrug –62 Grad Celsius. Direkt an der Fernverbindungstraße zwischen Novosibirsk und der Mongolei gelegen, ist Kosch-Agatsch ein klassischer Durchreiseort.

 

Obwohl wir ihn auch genau aus dem Grund ansteuerten, waren wir letzten Endes doch gezwungen statt nur einer, zwei Nächte zu bleiben, da die mongolische Grenze für einen Tag gesperrt war. So kamen wir in den Genuss den Ort genauer unter die Lupe nehmen zu können... müssen... Neben einigen Autowerkstätten gibt es nicht wenige Apotheken und Supermärkte, zahlreiche Antennen- und Fernmeldeeinrichtungen.

Was es aber nicht gibt, sind viele Lokale in denen man was zu essen findet und erst nach wirklich extensiver Suche ist es uns gelungen eines zu finden, dass uns bewirtet. Von den vier Speisen haben wir jede einmal bestellt und in jede einzelne davon bestand aus selben Zutaten, sah aber anders aus. Aufgewärmt wurde alles in der Mikrowelle nachdem es direkt aus einem großen Topf geschöpft wurde. Weil wir neben diesem kulinarischen Hochgenuss den Tag nicht ungenutzt lassen wollten, haben wir ausgedehnte Spaziergänge und -Fährten durch den Ort unternommen, Cookie eine Schnellwäsche verpasst und den mittlerweile vollkommen verbogenen handgefertigten Unterbodenschutz aus dem Hause Ing. Past & Bernhardt wieder gerade biegen lassen. Damit haben wir nun den nächsten Steinabschuss frei. ...hoffentlich brauchen wir ihn nicht!

 

Nachdem wir wohl zwei der wenigen Menschen sind, die länger als eine Nacht hier verbringen, dürften wir zumindest für 2017 - und da sind wir uns ziemlich sicher - den Rekord an den "meisten als Touristen im Ort verbrachten Stunden" innehalten. Es hätte nur mehr einen Tag länger hier gebraucht und die Einheimischen hätten und schon für Locals gehalten. Ein bissi stolz sind wir schon drauf.

Kommentar schreiben

Kommentare: 4
  • #1

    Kinga (Freitag, 01 September 2017 04:43)

    Toll und der letze Absatz sehr amüsant �

  • #2

    Papa (Freitag, 01 September 2017 10:45)

    Schliesse mich Kingas kommendar an

  • #3

    Bernhard Wank (Montag, 04 September 2017 02:34)

    Habe gerade gesehen, Ihr seid in Ulan Ude angekommen....
    Congratulation - wir freuen uns für Euch, tolle Leistung!
    Pa & Ga

  • #4

    MikeRenate (Montag, 04 September 2017 09:24)

    Der letzte Navipunkt ist gepickt, herzlichen Glückwunsch und Gratulation. Und nun sollte gefeiert werden, also dann "Sa Sdorovje" oder "Wasche sdorowje" und in der Folge dann auf deutsch " wir treffeb uns unter dem Tisch".
    Wohl bekomm's !!